Mit dem Zustellen der Bewerbungsunterlagen treten Elena, Deborah und Alice mit dem potentiellen Arbeitgeber in ein Vertragsverhandlungsverhältnis ein. Ab diesem Zeitpunkt sind beide Seiten zu ernsthaftem Verhandeln, zu gegenseitiger Rücksichtnahme und Aufklärung in bestimmtem Umfang verpflichtet sind (Grundsatz von Treu und Glauben).
Der potentielle Arbeitgeber darf jedoch nur diejenigen Angaben und Unterlagen verlangen, soweit diese die Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sind (vgl. sinngemäss Art. 328b OR). Die Bewerbungsunterlagen haben somit einen Lebenslauf und Zeugnisse sowie allfällige sonstige Qualifikationen und Referenzen zu enthalten. Die Angabe von Referenzen ist insofern wichtig, als für das Einholen von Auskünften Dritter – beispielsweise des früheren Arbeitgebers – die vorgängige Zustimmung der betroffenen Person erforderlich ist. Es empfiehlt sich deshalb, die Referenzperson vorgängig von ihrer arbeitsrechtlichen Schweigepflicht zu entbinden (kann mündlich erfolgen) und über eine mögliche Nachfrage des potentiellen Arbeitgebers zu informieren.
Werden Elena, Deborah oder Alice in der Folge tatsächlich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, so sind sie im Vorfeld insbesondere auf unzulässige (insbesondere allzu persönliche) Fragen hinzuweisen. Im Allgemeinen sind Fragen nach der Ausbildung, dem beruflichen Werdegang und weiteren beruflichen Perspektiven erlaubt. Fragen nach einer allfälligen Verschuldung, bestehenden Krankheiten, einer Schwangerschaft oder auch nach Vorstrafen sind hingegen nur zulässig, wenn dies für das in Aussicht stehende Arbeitsverhältnis aus besonderen Gründen erforderlich ist. Da sich Elena auf eine Lehrstelle als FaGe bewirbt, könnten somit bestehende Krankheiten eine zentrale und wichtige Rolle für oder gegen eine allfällige Anstellung darstellen. Fragen, die nicht mit der ausgeschriebenen Stelle im Zusammenhang stehen, brauchen Bewerbende hingegen nicht zu beantworten. Es besteht sogar das Recht, falsche Antworten zu geben, damit ihnen kein Nachteil entsteht (sog. Notwehrrecht der Lüge).
Bei Erhalt der Stelle wird über den neuen Arbeitnehmenden ein Personaldossier angelegt. Dabei dürfen jedoch stets nur diejenigen Daten über Angestellte bearbeitet werden, die für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich sind.
Die Unterlagen der nicht berücksichtigten Bewerbenden müssen hingegen zurückgegeben und allfällige Kopien vernichtet werden. Wurden die Bewerbungsunterlagen – wie bei Deborah und Alice – elektronisch zur Verfügung gestellt, so sind diese zu löschen. Zurückbehalten darf der Arbeitgeber allein die Unterlagen, die ihm gehören. Mit der Zustimmung der Bewerbenden dürfen Unterlagen für eine bestimmte, im Voraus festgelegte Dauer aufbewahrt werden, wenn anzunehmen ist, dass sie demnächst wieder gebraucht werden.
Lukas Bürge, Fürsprecher