Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen müssen wesentliche gesellschaftliche Trends und Entwicklungen verfolgen und kennen. Dazu gehören sowohl technische als auch rechtliche oder politische Aspekte in Bezug auf digitale Medien. Auf der Webseite der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, GMK finden sich viele Anregungen und Informationen.
Konkrete gesellschaftliche Veränderungen im Zusammenhang mit digitalen Medien sowie deren Auswirkungen auf die Sozialpädagogik kennen. Dies schliesst auch den Umgang mit politischen und rechtlichen Veränderungen ein.
"Heute ist die Welt im Computer"
Die Gesellschaft entwickelt sich durch und mit den digitalen Medien schnell und einschneidend.
Zitat von Jeff Jarvis, Journalist:
"Wir durchlaufen eine gewaltige Veränderung. Ich weiss auch noch nicht, wie gross sie sein und wie lange sie dauern wird. Es dauerte etwa hundert Jahre, bis man die Auswirkungen des Buchdrucks wirklich spüren konnte. Stellen Sie sich vor, es wäre 1472, und Sie sollten mir glauben, dass diese Erfindung die katholische Kirche entmachtet, eine wissenschaftliche Revolution auslöst und die Bildung auf den Kopf stellt. Sie würden sagen: Blödsinn."
Wir stehen im Moment in Mitten einer vergleichbaren, aber sehr wahrscheinlich schnelleren und komplexeren gesellschaftlichen Veränderung, welche durch die digitale Entwicklung bedingt ist. Wie schnell diese Entwicklung vor sich gegangen ist zeigt Gapski in seinem Artikel:
1984 brachte Apple den ersten Macintosh Computer auf den Markt. 1991 wurde die erste Webseite aufgeschaltet und 2004 wurde Facebook gegründet und das Mitmach-Netz verbreitet sich rasant (Gapski, 2017, S.35f.). Heute beschäftigen uns die grossen Datenmengen und deren Analyse, nicht mehr durch Menschen, sondern durch Algorithmen. Computerprogramme werden nicht mehr nur programmiert, sondern können selber lernen und sich weiterentwickeln, so dass der Mensch den Prozess nicht mehr nachvollziehen kann.
Die Auswirkungen solcher technischen Entwicklungen auf die Gesellschaft nennt man digitale Transformation. Wie diese digitale Transformation aussehen wird, lässt sich heute höchsten erahnen.
Nach Gapski (2017, S.40f.) gibt es vier Treiber, welche die Transformation vorantreiben:
Digitalisierung: Mit Digitalisierung ist die Umstellung von analogen auf digitale Daten gemeint, diese ist grundlegend für unsere heutigen Transformationsprozesse
Vernetzung: Das Internet ist ein Netzwerk in dem zuerst die Computer vernetzt wurden, dann im Web 2.0 die Menschen und nun im Internet der Dinge werden Alltagsgegenstände, wie die Zahnbürste oder das Auto, mit dem Internet und untereinander vernetzt.
Sensorisierung: Viele Geräte verfügen heute über Sensoren (Beschleunigung, Berührung, Helligkeit, etc.), so zum Beispiel auch das Smartphone. Die mit diesen Sensoren gesammelten Daten können vernetzt und gespeichert werden.
Algorithmisierung: Dem Computer werden durch Programmieren nicht nur Handlungsanweisungen gegeben. Vielmehr wird mit dem Programm gearbeitet, so dass es selber lernt und selber Fragen beantworten, Zusammenhänge erkennen, etc. kann.
Dass für ein selbstbestimmtes Leben und für die Teilhabe an der Gesellschaft Medienkompetenzen des einzelnen nötig sind, scheint einleuchtend. Die Verantwortung für ein einen verantwortungsvollen Umgang mit diesen neuen Errungenschaften kann aber nicht auf die Individuen und deren Medienkompetenz abgeschoben werden. Regulierungs- und Steuerungsfragen müssen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene geklärt werden. So zum Beispiel Datenschutzbestimmungen und die Frage, wer davon profitiert, wenn menschliche Arbeit von Robotern erledigt wird.
Quelle: Gapski, H. (2017). 1.0, 2.0, 3.0 und 4.0 – und was zählt die Medienbildung? In: Eder, S.; Mikat, C. & Tillmann, A. (Hrsg.), Software takes command. Herausforderungen der «Datafizierung» für die Medienpädagogik in Theorie und Praxis. (S.35-48).
Seit 2010 bilden die JAMES-Studien den Medienumgang von Jugendlichen in der Schweiz ab. JAMES steht für Jugend, Aktivitäten, Medien – Erhebung Schweiz und wird alle zwei Jahre repräsentativ durchgeführt. Es werden jeweils über 1'000 Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren aus den drei grossen Sprachregionen der Schweiz befragt. Sie wird vom ZAHW (Zentrum für angewandte Wissenschaften) in Zürich durchgeführt.
MIKE Studie (Medien - Interaktion - Kinder - Eltern
Ergebnisbericht zur Mediennutzung von Kinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren. Sie wird vom ZAHW (Zentrum für angewandte Wissenschaften) in Zürich durchgeführt.
Jim Studie 2023 (Jugend, Information, (Multi-) Media)
Auch in Deutschland wird die Mediennutzung der Jugendlichen regelmässigt untersucht und im Rahmen der JIM-Studie präsentiert.
Seit 1999 führt der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest zudem regelmässig eine Basisstudie zum Stellenwert der Medien im Alltag von Kindern (6 bis 13 Jahre) durch.
Die Mediennutzung von Kleinkindern wird zusätzlich im Rahmen der Basisuntersuchung zum Medienumgang 2- bis 5-Jähriger in Deutschland erhoben.
Verschiedene Fachartikel
"Inklusionschance oder Exklusionsrisiko. Digitale Medien - aktuelle und künftige Herausforderungen für die Sozial- und Heilpädagogik"
Ein Artikel von Corinne Reber in Sozial Aktuell 5 / 2017
"Ist Normalität anders...? Digitale Medien im sozialpädagogischen Alltag"
Ein Artikel von Monika Luginbühl in Sozial Aktuell 5/2017
"Internet kann Spass machen"
Ein Interview mit Corinne Reber, Expertin für Medienpädagogik im INSOS-Magazin Oktober 2017
"Inklusion ohne digitale Medien ist nicht mehr denkbar"
Ein Artikel von Corinne Reber und Monika Luginbühl in Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik 4 / 2016
"Und jetzt auch noch Medienpädagogik. Muss Medienpädagogik Teil der Sozialpädagogik werden?"
Ein Artikel vom Monika Luginbühl in Schrift zum 150 jährigen Bestehen des Kinderheims Brugg, 2016
"Entwicklung der Medienpädagogik in der Sozial-, Heil- und Sonderpädagogik. Heimleitungen müssen den Mut haben, einen offensiven Weg zu gehen"
Interview mit Monika Luginbühl in CURAVIVA 10/15
Die neuen elektronischen Medien sind eine Herausforderung für die Sozialpädagogik
(Monika Luginbühl – in Fachzeitschrift Curaviva – April 2013)
Nicht verbieten, sondern mit dem tauglichen Umgang vertraut machen.
Medienkompetenz als Schlüssel zur Partizipation?!
(Monika Luginbühl – in Sozial aktuell -Nov. 2013)
Der sozialkompetente Umgang mit digitalen Medien ist kein Jugendproblem, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.
Ein kompetenter Umgang mit Medien ist heute zu einer wichtigen Kompetenz geworden, welche ähnlich wie Lesen, Schreiben und Rechnen, eine Voraussetzung dafür darstellt, dass an der Gesellschaft teilgenommen werden kann.
Wer keinen Zugang zu digitalen Medien hat, bzw. nicht kompetent mit diesen umgehen kann, hat weniger Möglichkeiten teilzuhaben, wir eher ausgeschlossen.
Gerade Menschen, die sowieso schon stärker von sozialem Ausschluss bedroht sind (Menschen mit Behinderungen, Migrant*innen, Menschen die in Institutionen leben, etc.) haben seltener Zugang zu digitalen Medien und haben weniger Unterstützung bei der Entwicklung einer umfassenden Medienkompetenz.
Am Beispiel von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung zeigt sich dies folgendermassen.
Damit sich Benachteiligung und Ausschluss aber nicht verstärken, sondern allenfalls sogar verringert werden können, brauchen gerade diese Menschen besonders viel Begleitung und Unterstützung beim Erwerb von Medienkompetenz. Gerade für diese Zielgruppen eignen sich handlungsorientierte medienpädagogische Ansätze, wie die Aktive Medienarbeit oder das Making.
Literatur Medien und Behinderung:
Bosse, I.; Schlucher, J-R. & Zorn, I. (2019). Handbuch Inklusion und Medienbildung. Weinheim / Basel: Beltz Juventa
Von Gross, F. & Röllecke, R. (2017). Medienpädagogik der Vielfalt – Integration und Inklusion. München: kopaed
Schill, W. & Röllecke R. (2018). Fachheft «Inklusive Medienbildung». Ein projektbuch für Lehr- und pädagogische Fachkräfte. Düsseldorf:BZgA.
Hinweise auf Angebot für Menschen mit besonderen Bedürfnissen
Insieme Schweiz und die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) haben einen Leitfaden entwickelt, welcher auf einfache, verständliche Weise erklärt, wie Webangebote für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung aufgebaut sein müssen, damit sie zugänglich sind.
Hier finden Sie direkt den Leitfaden als pdf in deutscher Version.
oder surfen sie auf www.einfachsurfen.ch.
Der Verein "atempo zur Gleichstellung von Menschen" mit Sitz in Graz ermöglicht durch verschiedene Projekte den Zugang zur Online Gesellschaft. Durch Bildung und Barrierefreiheit wird eine berufliche Qualifizierung im EDV Bereich angestrebt. Die Website zeigt eindrücklich auf, wie Barrierefreiheit, Bildung und Karriere sowie Kundenbefragungen nachhaltige Zugänge schafft.
Selbstbestimmungsrecht versus Erziehungsrecht
Im sozial-, heil- und sonderpädagogischen Kontext stehen sich das Selbstbestimmungsrecht der Kinder bzw. Jugendlichen und das Erziehungsrecht bzw. die Erziehungspflicht der Erziehungsberechtigten gegenüber. Dies führt oftmals zu einem Spannungsverhältnis. Insbesondere bei den digitalen Medien prallen diese meist divergierenden Interessen aufeinander.
Das Selbstbestimmungsrecht von Kindern und Jugendlichen ist Teil der persönlichen Freiheit, der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie des Rechts auf Schutz der Privatsphäre. Das Selbstbestimmungsrecht der Kinder bzw. Jugendlichen hängt massgeblich von deren Urteilsfähigkeit ab. Bei der Urteilsfähigkeit geht es um die Frage, ob Kinder bzw. Jugendliche im konkreten Einzelfall vernunftgemäss handeln können. Die Urteilsfähigkeit ist somit jeweils im Einzelfall zu bestimmen – abhängig von der Entwicklung der Kinder bzw. Jugendlichen und von der konkreten Situation.
Das Erziehungsrecht wird vom Leitgedanken des Kindswohls getragen und beinhaltet die Pflicht, Kinder und Jugendliche in ihrer Unversehrtheit zu schützen und sie in ihrer Entwicklung zu fördern. Die Erziehungsberechtigten sind verpflichtet, die Kinder und Jugendlichen im Erwerben der Medienkompetenz zu begleiten und sie vor Gefahren, namentlich im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Medien, zu schützen.
Kinder- und Jugendinstitutionen nehmen im Rahmen der sogenannten delegierten elterlichen Sorge (Ermächtigung bzw. Auftrag durch die Eltern) dieses Erziehungsrecht wahr oder handeln mit einem gesetzlichen Auftrag (zivil- oder strafrechtliche Einweisungen) und sind so unter anderem zur Medienerziehung der Kinder und Jugendlichen berechtigt bzw. verpflichtet.
Die Erziehungsberechtigten haben den Willen der urteilsfähigen Kinder und Jugendlichen zu berücksichtigen, soweit dies dem Interesse des Kindswohls nicht entgegensteht.
Kindswohl als oberstes Gebot
Das Kindeswohl gilt als Leitmotiv bei allen wesentlichen Fragen zur Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen. Es ist der Inbegriff aller begünstigenden Lebensumstände, um Kindern bzw. Jugendlichen zu einer körperlich, psychisch, intellektuell sowie sozial guten und gesunden Entwicklung zu verhelfen.
Die sogenannte Medienerziehung ist Teil dieses Erziehungsrechts und hat zum Ziel, Kinder und Jugendliche mit Medienkompetenz auszustatten. Sie sollen nicht nur befähigt werden, sinnvoll mit Medien umzugehen, sondern auch vor drohenden Kindswohlgefährdungen – namentlich bei der Nutzung digitaler Medien – bewahrt werden.
Risiken bei der Nutzung digitaler Medien
Medienpädagogische Begleitung soll den Kindern und Jugendlichen eine sichere und verantwortungsvolle Nutzung digitaler Medien sowie den richtigen Umgang mit allfälligen negativen Medienerlebnissen ermöglichen. Die Risiken der Mediennutzung sind vielfältig: So können Kinder und Jugendliche bspw. Opfer oder Täter von Cybermobbing, -bullying, -stalking, Grooming, Betrug, sexuellen Handlungen und verbotener Pornografie oder Gewaltdarstellungen übers Internet werden. Wenn sie nicht altersadäquat mit Medieninhalten konfrontiert werden oder mit diesen umzugehen wissen, können sie game- oder pornosüchtig oder aber anderweitig in ihrer psychischen Entwicklung beeinträchtigt werden. Indem Kinder und Jugendliche im Internet sorglos eigene Daten einem oftmals unbekannten Personenkreis preisgeben, riskieren sie, die Kontrolle über diese Daten zu verlieren. Nicht zuletzt können sich Kinder und Jugendliche auch finanziellen Schaden zufügen.
Umsetzung im sozialpädagogischen Alltag
Dass sich Selbstbestimmungs- und Erziehungsrecht in einem gewissen Spannungsfeld befinden, ist selbstverständlich. In der medienpädagogischen Praxis sind oftmals Kompromisse auszuhandeln und gegebenenfalls auch Grenzen auszutesten. Sowohl die Förderung der Kompetenz der Kinder und Jugendlichen im sinnvollen Umgang mit Medien als auch ein wirksamer Schutz vor schädlichen Auswirkungen der Medien auf die Kinder und Jugendlichen bedingen, dass sich die Erziehungsberechtigten in den Grundzügen mit dem aktuellen Stand der digitalen Medien auskennen und sich bei Bedarf weiterbilden.
Weiterführende Hinweise zum Daten- und Persönlichkeitsschutz finden sich auf der Website des eidgenössischen Datenschutzbeauftragten (www.edoeb.admin.ch).
Einen Überblick über die anwendbaren Bestimmungen sowie weiterführende Hinweise finden sich auf der Internetseite von Jugend und Medien (www.jugendundmedien.ch) oder auch auf der Internetseite der Schweizerischen Kriminalprävention (http://skppsc.ch).
Die schnelle Entwicklung des Themas erfordert Präsenz. Für die Praxis stellen sich folgende Fragen: